Hartmut Engler hat lange ausharren müssen. Der Pur-Frontmann hat in seiner Wohnung gehockt, die Corona-Pandemie vor der Türe, den Kopf voll von Gedanken, auch von Sorgen. Vor allem aber voll von Sehnsucht nach dem Austausch mit den Fans, mit seiner Band, mit dem Draußen. All das, die Furcht und die Lust und das Verlangen nach der großen Bühne, findet sich wieder in den Songs auf dem neuen, prall gefüllten Album der Band.
Es ist bereits das 17. Pur-Studiowerk und die Freunde aus Bietigheim-Bissingen bei Stuttgart sind sich treu geblieben:
«Persönlich» sind die Gedanken, Erinnerungen und Bilder, die sie begleitet haben und die sie im gleichnamigen Album teilen wollen. In typischem Pur-Stil, emotional, auch mal warnend, aber stets hoffnungsvoll, auf Hirn und Herz zielend, bisweilen kitschig, sicher auch nicht für jeden Geschmack, aber doch genau das, was die Fans nach der Corona-Pause von ihnen erwarten dürften.
Wieder sind Hymnen für den Auftritt vor den Massen dabei, Liebeslieder und das eine oder andere Stück, das, geprägt durch die Zeit der Pandemie und die jüngere politische Weltlage, zwar gesellschaftskritisch, aber optimistisch daherkommt. «Es ist kein Album, bei dem ich in zehn Jahren sagen werde, es sei ein schwieriges Pandemie-Putin-Album», sagt Engler im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Wir müssen diese Themen nach einer solchen Zeit natürlich ansprechen, das lässt sich nicht vermeiden. Aber wir haben auch versucht, es nicht zu überziehen.»
Unumstritten gehören Pur auch nach vier Jahrzehnten zu den bekanntesten und populärsten Musikern des Landes. Die 16 neuen Songs erinnern daran, dass hinter Engler und der Band mehr zu finden ist als die überaus populären Schwärmereien von «Abenteuerland» und «Funkelperlenaugen», die von einigen belächelt, aber von Millionen gesungen werden in Arenen oder auch im Wohnzimmer. Denn auf «Persönlich» riskieren sie, sich mit dem einen oder anderen Song deutlich zu positionieren. «Das erwarten Pur-Fans auch von uns», sagt Engler. «Die sind auf alle Songs, auf das ganze Album gespannt, und sie bekommen dort auch den kompletten Überblick.»
So wird in «Voll sein» an «die Zeit der Zahlendreher, der Bedenkenträger, der Falschberater, der Geisteshacker» erinnert, die den Menschen zugesetzt habe. «Was ist aus uns geworden, träge Herde, tristes Heer», singt Engler weiter, es fehlten die Geschichten, die Zärtlichkeit, der Mensch müsse doch «voll» sein mit Liebe und Freude.
«Ich bin mit der Gesamtsituation überhaupt nicht zurechtgekommen», bilanziert der 60-Jährige seine ganz private Corona-Phase, diese Zeit, in der er keine Texte schreiben konnte, sich isoliert fühlte.
«Sicher muss ich heute keine 150 Konzerte pro Jahr mehr spielen. Aber ich brauche ein Ziel, auf das ich mich freuen kann.»
Ein Ziel, das Engler lange gefehlt zu haben scheint. Er ruft in einem Song nach der vermissten «guten Laune», er macht in einem anderen den Isolierten, Heruntergezogenen Mut, sich selbst zu lieben und Gefühle zuzulassen, um nicht «immun» zu werden gegen andere Menschen. Auch er habe in den dunklen Phasen der Pandemie «nicht mehr so richtig den Draht zu anderen Leuten» gehabt, sei lieber zu Hause geblieben. «Weil ich mich selber nicht mochte», sagt er.
Pur wäre aber nicht Pur ohne das große Gefühl. Seiner Langzeitverlobten Katrin widmet Engler ein einfühlsames Liebeslied, dem früheren Schlagzeuger Martin Stoeck melancholische Abschiedserinnerungen nach dessen Tod («Herzensgut») und auch das geschenkte Stückchen eines viele Millionen Jahre alten Meteoriten gibt Engler Anlass für einen Song und Gedanken über das Dasein der Menschheit.
Zu allem und zu jedem will sich Engler keineswegs äußern: «Ich habe nicht zu allem und zu jedem etwas zu sagen, sondern es muss stimmen und ich muss es wichtig finden.» Wichtig wie der russische Angriffskrieg in der Ukraine: «In den ersten Tagen war ich nur in Weltuntergangsstimmung», sagte Engler. «Ich dachte: Dieser Wahnsinn zerstört alles, an was wir uns festgehalten haben.» Später brachte er den durchaus hoffnungsfrohen Appell an «Ein gutes Morgen» zu Papier.
Engler steht nun schon seit vier Jahrzehnten mit Pur auf der Bühne.
Vom Keller der örtlichen schwäbischen Kirchengemeinde arbeiteten sie sich seit Mitte der 1970er Jahre hinauf, landeten 1990 mit «Lena» den ersten Single-Charts-Erfolg. Wenige Jahre später wird «Abenteuerland»
(1995) mit zwei Millionen Exemplaren zu einem der meistverkauften deutschsprachigen Alben. «Seiltänzertraum» hielt sich dann mehr als
120 Wochen in den Albumcharts. Nach wie vor plant die schwäbische Popband etwa alle drei Jahre ein Album mit anschließender Tournee.
2021 wäre es wieder so gewesen, aber das Virus kam dazwischen. Nun soll es im kommenden Jahr soweit sein.