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StarTreff – Heinz Rudolf Kunze · Interview

Er hat es wieder getan! Heinz Rudolf Kunze – der von sich selbst sagt, dass er manchmal gerne mehr Ruhe im Kopf hätte, statt unendlich vieler Songideen, die niedergeschrieben werden wollen – hat ein neues Album veröffentlicht. Persönlicher und verletzlicher als je zuvor.

“Ich widme meine Songs immer allen Menschen, aber natürlich hat das Album auch viel Persönliches. Das ist vor allem der aktuellen Zeit geschuldet”, so Kunze. KÖNNEN VOR LACHEN ist die Hin und Her-Bewegung einer Schildkröte, die den Kopf ab und zu mal wieder skeptisch aus dem Panzer steckt und fragt: “Ist es immer noch so schlimm? Ja, es ist immer noch so schlimm“, und den Kopf dann wieder einzieht.

“Da verschwindet man manchmal lieber im Privaten, wo alles in Ordnung ist.”

Ganz in Kunze Manier kommt schon der Titel nicht ohne Wortspiel aus. In KÖNNEN VOR LACHEN verarbeitet er die alte Tugend, die ihm als Lehrersohn schon früh mitgegeben wurde: Erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen. “Der Titel entstand ganz unspektakulär auf einer Autofahrt in Düsseldorf, als ich an einem Plakat mit genau diesem Spruch vorbeifuhr. Es war wie eine Offenbarung.“ Mit viel sprachlichem Geschick und Wortakrobatik agiert HRK auf diesem Album als Weltenwandler, der sich sicher sowohl im Außen als auch im Innen bewegt. Kunze muss niemandem mehr beweisen, welchen Stellenwert er in der deutschen Rockmusik hat und möchte dennoch es versuchen. Mit Charme, Wortwitz, Kampfgeist und: Können!

Schon der erste Song „Halt mich fest“ zeigt, was der Rockpoet drauf hat und was ihn umtreibt: Eine sich immer schneller drehende Welt, geprägt von Kriegen, Krisen und Ängsten. Was bleibt, ist oft ein geliebter Mensch, der einen hält, wenn alles droht zu zerbrechen. Ein Lied, das die Kraft des Zusammenhalts im Kleinen beschwört, arrangiert in der Soundwelt von Peter Gabriel und den Simple Minds. “Mehr als sonst brauchen wir in dieser Zeit einen Rückzugsort, einen Menschen, der einen umarmt und an den man sich anlehnen kann”, so Kunze.

Um Beständigkeit, Liebe und Zuversicht geht es auch im euphorischen Ohrwurm-Pop-Song „Halt das Herz an”, bevor der Titelsong „Können vor Lachen“ mit altbekannt souveränem Gitarrenrock die Tür eintritt und mit augenzwinkerndem Blick in den Rückspiegel vom Spagat zwischen Spaß und Ernst erzählt, dessen Balance Adoleszenz und Identität prägt.

Ungewohnt nahbar zeigt sich Kunze auf KÖNNEN VOR LACHEN auch in Songs wie  „Du tust mir gut“, einer Hommage an seine Partnerin, in der er zum Spaziergang durch sein Gefühlsleben einlädt, sich selbstkritisch und demütig vor dem Geschenk der Liebe zeigt, ohne die eigene Sprache dafür ins allzu Kitschige abdriften zu lassen. “Natürlich widme ich Liebeslieder immer meiner Frau, aber auch allen anderen Paaren auf dieser Welt, egal ob alt jung, gleichgeschlechtlich liebend oder hetero.”

Im darauffolgenden Song zeigt HRK wieder warum er auch im politischen Bereich einer der größten Songwriter der Republik ist. “Igor” bewegt sich in der Soundwelt der 80er. Ein Wall aus Musik mit einem Text, der von den schrecklichen Nachrichtenbildern aus der Ukraine inspiriert ist und einen jungen, russischen Soldaten („Igor“) portraitiert. Ein Plädoyer für die Menschlichkeit. “Inspiriert haben mich die Bilder junger Gefangener aus Mariupol, die mutmaßlich nach Russland verschleppt wurden und das Foto eines blutjungen russischen Soldaten, den ich Igor genannt habe, der völlig eingeschüchtert war und in Kiew wegen Mord an einem Zivilisten vor Gericht stand. Ich begann mich zu fragen, ob der Diktator im Kreml, nicht ein einziges Mal an diese Jungs denkt, denen er zumutet, in ein solches Schlachten zu ziehen nur um seine eigenen Interessen durchzusetzen.“

„Können vor Lachen“ ist ein Album der vielschichtigen Töne, so auch bei „Die furchtbaren herrlichen Jahre“, in dem HRK ein persönliches Fazit zieht. 40 Jahre steht er nun auf den Brettern, die die Welt bedeuten und zeigt sich in diesem Song demütig und dankbar: “Der Beruf des Künstlers ist zerreißend und emotional und trotzdem ist es ein Lebensweg, den ich nicht missen möchte. Man zahlt aber auch einen hohen Preis: Phobien, Existenz- und andere Ängste und Sorgen, die sich (wie in meinem Fall) manchmal bis hin zu Panikattacken auftürmen. Ich habe diese Panikattacken immer für den Preis meiner unendlichen Fantasie gehalten, denn die spielt manchmal eben auch gegen einen Golf.“

Schonungslose Verletzlichkeit offenbart auch die Ballade “Klar hab ich geweint”. Eines der Highlights des Albums erzählt von der Künstlerseele, deren Verteidigungs-mechanismen nicht sehr stark entwickelt sind und auch den Künstler und Privatmann Heinz Rudolf Kunze verwundbar machen. Ein Bekenntnis zu den Narben, von denen sich niemand freisprechen kann, entstanden durch private und berufliche Enttäuschungen und Niederlagen.

Mit einer Anleitung zum selbst aktiv werden und mitgestalten kommt HRK in „Der Irrsinn hat System“ wieder aus der Selbstanalyse heraus und blickt aufs große Ganze. Staatsmännische Gitarrenwände begleiten die provokante Aufforderung aus der eigenen Bequemlichkeit in Bewegung und ins Gespräch zu kommen, nicht ohne Polemik aber bewusst eingesetzt und über Umwege in der politischen Mitte ankommend analysiert Kunze gekonnt die aktuelle politische Lage bevor er in „Lass uns tun was geht“ versöhnlichere und sanftere Töne anstimmt. Diese besondere Mischung aus Tat – und Kampfkraft wird zum wohltuend wichtigen Element in einer Debatte um Courage und Aktivismus, in der die reflektierten Stimmen immer seltener werden.

Dass Heinz Rudolf Kunze einer der größten Bob Dylan-Verehrer Deutschlands ist, dürfte kein Geheimnis sein. Deshalb bestreiten gleich 2 Hommagen an den Meister das letzte Drittel des Albums: Mit Akustikgitarre auf dem Rücken und dem Schalk im Nacken antwortet HRK in “Trostlosigkeitsalllee” auf Dylans “Desolation Row”. Ein wilder Ritt durch eine Straße gescheiterter Existenzen, Künstler, Dichter, Denker und Verrückter. Europäische Geistesgeschichte mit Nietzsche, Adorno, Heidegger oder Kierkegaard – und Kunze mittendrin.

Auch „Liebes Lied“ erinnert an den amerikanischen Meister der Lyrik und setzt Kunze aufs ungewohnte Country-Pferd. “Liebes Lied ist ein Gebirge von Bekenntnissen für eine geliebte Person und am Ende sagt man „warte doch mal, ich fang ja gerade erst an!”

Ebenfalls ungewohnt kommt der Beschluss dieses besonderen Albums daher.

In „Leuchtturm“ lädt uns der Meister nochmals nach Innen ein, erzählt mithilfe von schweren Gitarren und dunklen Synthies die melancholische Geschichte eines alten Leuchttum-Wärters, der tapfer seine Lebensaufgabe erfüllt, auch wenn er nicht mehr gebraucht wird. Eine Parabel wie von Kafka erdacht, die man sicher auch auf Künstler beziehen kann.

KÖNNEN VOR LACHEN ist ein Album wie ein Blick durch ein Kaleidoskop, mit vielen, verschiedenen Farbtönen und Mustern, nie den Kern der Menschenfreundlichkeit vermissend und immer auf der Höhe des Zeitgeschehens, intim und doch mit Weitblick.




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